Ein Traum geht in Erfüllung!





Montag, 20.05.

 

Seit über 40 Jahren träumen wir davon, einmal mit der transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok zu fahren und von dort aus mit der Fähre nach Japan überzusetzen. Nun wir dieser Traum wahr. Zusammen mit Eva und Norbert begeben wir uns auf die Reise, die eigentlich auch schon am Sonntag beginnt. Irgendwann zwischen acht und neun treffen Eva und Norbert bei uns ein, sie werden ihr Auto hier stehen lassen. Kalle, unser Nachbar, fährt uns zum Flughafen Schönefeld, am Montag um 00.30 Uhr startet unsere Maschine Richtung Moskau, und nach 2,5 Stunden Flugzeit landen wir pünktlich um 04.00 Uhr morgens Ortszeit.



Hier haben wir fast vier Stunden Aufenthalt.

 

In Kommentaren im Internet haben wir gelesen, dass der Moskauer Flughafen hässlich sei, unübersichtlich und schmutzig. Ich weiß nicht, welcher Moskauer Flughafen da gemeint ist, aber Шереме́тьево (Scheremetjewo), wo wir gelandet sind, kann es nicht sein. Dieser Flughafen ist sehr modern, mit vielen LED-Wänden ausgestattet, er ist übersichtlich und sauber. Da kommen die Berliner Flughäfen bei Weitem nicht mit.

 





An einem Kiosk von МегаФон (MegaFon) kaufe ich eine Simkarte mit Datenflatrate, die Verkäuferin richtet mein Handy entsprechend ein, und ab sofort kann ich für uns alle einen Hotspot zur Verfügung stellen. Die Übertragung ist richtig schnell, in den Städten wird durchweg ein LTE-Netz zur Verfügung gestellt, und es wird sich noch herausstellen, dass es auch entlang der Transsibirischen Eisenbahn fast durchweg Handyempfang gibt, wenn auch nicht immer in dem ganz schnellen Netz.

 

In einem Café frühstücken wir. Der Kaffee ist gut und wir probieren die ersten russischen Spezialitäten (Teigtaschen mit kräftiger und süßer Füllung).

 

Um 07.55 Uhr geht es weiter nach Krasnojarsk, dem sogenannten Tor nach Sibirien. Die Sitze sind zwar ausgesprochen eng, aber der Flug verläuft ruhig, und nach ca. 4,5 Stunden landen wir pünktlich gegen 16.35 Uhr auf dem Flughafen Емельяново (Jemeljanowo) von Krasnojarsk. Die Koffer sind alle da, und auch der von Norbert vorher organisierte Transfer zum Hotel funktioniert. Wir werden am Flughafen erwartet, und zwei Autos stehen für uns zur Verfügung. Die Zeit, bis sie vorfahren, vertreiben wir uns mit einem Fotoshooting an dem Luftkissenfahrzeug, das vor dem Flughafengebäude ausgestellt ist. Leider regnet es!

 

Aber wir kommen problemlos zum Hotel. Das Novotel befindet sich nahe dem Zentrum in Karl-Marx-Straße, der yл. Карлa Марксa. Es ist ein modernes Haus mit ordentlichen Zimmern.

In der Zeit, in der wir uns einrichten, hört der Regen auf, und als wir rausgehen, scheint schon wieder die Sonne. Wir sind nicht weit vom Ufer des Jenissei entfernt und laufen an der dortigen Promenade entlang. Es ist frühlingshaft warm, und wir haben nicht unbedingt den Eindruck, nun in Sibirien zu sein.

 

Im Oro Rosso essen wir zu Abend. Der Name klingt zwar italienisch, aber es ist ein sehr russisches Lokal. Es wird von ein paar Frauen geführt, die völlig ohne Fremdsprachenkenntnisse und mit einer stoischen Ruhe agieren. Aber dank der Russischkenntnisse von Eva und Norbert bekommen wir im großen Ganzen auch das, was wir wollen. Es gibt für Ulrich sogar alkoholfreies Bier. Nur ich werde hier wohl eher auf trocknen Wein verzichten müssen, die Russen in Sibirien stehen eher auf süße Sachen.

 

Mittlerweile ist es dunkel geworden, und Straßen, Plätze, Restaurants und Bars sind kreativ beleuchtet - auch so hatten wir uns Sibirien nicht vorgestellt.

 

Dienstag, 21.05.

 

Im Novotel sind wir gut untergebracht, und nachdem wir gefrühstückt haben (ganz ordentliches Buffet) und dem Geldautomaten in der Lobby ein paar Rubel entlockt haben, machen wir uns auf den Weg. Konkrete Pläne haben wir nicht. Absolute Highlights sind hier nicht zu finden, aber die Hauptgeschäftsstraße wollen wir uns ansehen, auch die alten Holzhäuser, die es hier noch gibt - und von der Paraskewa-Pjatnizza, einer kleinen Kapelle aus soll man einen guten Ausblick auf die Stadt haben.

 

Das Wetter ist nicht so toll, es ist eher kühl und auch regnerisch, und kurzentschlossen steigen wir in den nächsten Bus ohne zu wissen, wo er hinfährt, und auch ohne zu wissen, wie es in russischen Bussen zugeht. Hier sitzen nämlich noch häufig Kassiererinnen. Sie sitzen irgendwo im Bus und sind auf den ersten Blick gar nicht als solche zu erkennen. So handeln wir uns gleich die erste Rüge ein und werden etwas harsch aufgefordert, die Fahrkarten zu bezahlen. Nun ja!

 

Auf der Höhe des pl. mira (Platz des Friedens) steigen wir aus. Über eine Fußgängerbrücke gelangt man von hier aus auf die Tatysev-Insel, wo ein Park gestaltet worden ist. Alles ist ganz neu und großzügig angelegt, einige Skulpturen deuten auf die Universiade hin, die hier in diesem Jahr stattgefunden hat. Ob das den hier angesiedelten Tieren so gut gefällt, bleibt dahin gestellt.

 

Über den Platz der Philharmonie mit dem Denkmal für Nikolaj Rezanov, dem Gründer der russisch-amerikanischen Handelsgesellschaft und durch einen Triumphbogen, der an einen Zarenbesuch erinnert, gelangen wir wieder in die Stadt. Das Wetter ist übrigens besser geworden, der Himmel ist blau, und die Sonne scheint.

 

In einem Café essen wir eine Kleinigkeit, während draußen ein heftiger Regenschauer niedergeht. Wir planen den weiteren Verlauf des Tages und entscheiden uns für die Часовня Параскевы Пятницы, dieParaskewa-Pjatnizza Kapelle. Wir lassen uns ein Taxi rufen und fahren auf den Hügel, auf dem die Kapelle steht. Auf dem Weg dorthin kommen wir durch ein Viertel, in dem noch viele der alten Holzhäuser stehen.

 

Das Taxi ist außen und innen nicht besonders sauber, und auch der Fahrer riecht nicht so, als hätte er kürzlich geduscht. Wir verzichten daher darauf, ihn warten zu lassen, um bequem wieder zurück in die Stadt zu kommen.

 

Die kleine Kapelle liegt auf einem Hügel, und der Blick auf die Stadt ist wirklich gut. Innen gibt es einen kleinen Laden mit Devotionalien.

 

Nachdem es uns nicht gelingt, mit Hilfe einer App ein Taxi zu ordern, schafft Norbert es, am Imbissstand jemanden aufzutun, der uns ein Taxi ruft. Die junge Frau spricht ein wenig deutsch und freut sich, ihre Kenntnisse auszuprobieren.

 

Mit dem Taxi fahren wir zurück an das Ufer des Jenissei, wo wir vom Bus aus ein Einkaufszentrum gesehen hatten. Nun ja, den Besuch hätte man sich sparen können! Wir steigen also wieder in den Bus und fahren zurück in die Nähe unseres Hotels. Entlang des Prospekts Mira (Allee des Friedens) findet man die besseren Geschäfte und Restaurants von Krasnojarsk. Und nach einigem Suchen und dank Google Maps finden wir auch ein Lebensmittelgeschäft. Wir wollen Vorräte für die Eisenbahnfahrt einkaufen.

 

Es ist ganz interessant, sich das Geschäft anzuschauen, ist doch das Angebot deutlich anders als in Deutschland. Es gibt viel getrockneten oder gefrorenen Fisch - übrigens wie die meisten anderen gefrorenen Lebensmittel hier nicht abgepackt. Nicht, dass wir Gefrorenes kaufen wollten, aber hier kann man wenigstens gleich sehen, was es ist. Bei den abgepackten Waren müssen wir jedes Mal aufwendig die Beschriftung entziffern. Und auch hier gibt es fast ausschließlich süßen oder halbtrockenen Wein. Und wenn ich vorher hätte probieren können, hätte ich auch die eine Sorte, die als trocken deklariert war, nicht gekauft.

 

Zum Abendessen sind wir in der Bar Bulgakov - sehr gut!

 

 

Mittwoch, 22.05.

 

Heute werden wir die Eisenbahn besteigen.

 

Mit zwei Taxen (hier gibt es keine großen Wagen, die vier Koffer transportieren können) fahren wir zum Bahnhof.

 

Wir sind sehr zeitig da - unser Zug kommt aus Moskau und fährt um 13.20 Uhr hier wieder ab. Wir sehen uns ein wenig im Gebäude um und stellen uns dann in die Warteschlange für den Bahnsteig. Man kann hier nicht so einfach durchgehen, sondern man muss warten, bis der Weg freigegeben ist.

 

Aber dann ist es soweit, und wir können unser Heim für die nächsten vier Tage beziehen.

 

Am Eingang unseres Waggons werden wir von der проводница (provodnitsa), der Zugbegleiterin, begrüßt. Sie wird in den nächsten Tagen für unseren Waggon zuständig sein von der Sauberkeit bis hin zur Gästebetreuung. Zunächst aber kontrolliert sie die Fahrkarten, zeigt uns unser Abteil, erklärt ein paar notwendige Dinge, bringt uns Kaffee und notiert, wann wir zu Abend essen und wann wir frühstücken wollen. Es gibt einen Speisewagen, und das erste Abendessen ist im Preis inbegriffen. Die weiteren Mahlzeiten müssen wir bezahlen. Zum Abschließen unseres Abteils bekommen wir eine codierte Karte.

 

Wir haben ein Zweierabteil, die Sitzbänke lassen sich nachts zu Betten verwandeln. Es ist eng, und es gibt kaum Ablageflächen bzw. Stauraum, aber die Koffer passen unter die Sitze, so dass wir Ordnung halten können. Bettzeug ist vorhanden genauso wie Handtücher und Waschlappen und für jeden ein Set mit Zahnbürste und Hausschlappen. Und es dauert auch nicht lang, dann sieht man die ersten Mitreisenden in Pyjamahosen und Zugschlappen zu den Waschräumen gehen. Waschraum ist vielleicht übertrieben, es gibt in jedem Waggon zwei Toiletten mit je einem kleinen Waschbecken. Und wem das nicht reicht, der kann zwei Waggons weiter duschen. Man muss sich bei dem zuständigen Zugbegleiter anmelden, es kostet 150 Rubel, und dann kann man eine sehr geräumige, aber eher doch versiffte Dusche benutzen.

 

In den Abteilen gibt es  Steckdosen. Wir können unsere Handys und Tablets laden, und sogar der Föhn funktioniert. Das Trockenshampoo, das ich vorsorglich mitgenommen habe, kann also in den Müll. Wir haben es also doch luxuriöser als erwartet.

 

Mittlerweile hat der Zug Krasnojarsk verlassen, und wir freuen uns auf die kommenden ruhigen Tage und die Weite der an uns vorbeiziehenden sibirischen Landschaft. Vor uns liegen 5.200 km Bahnstrecke.

 

Norbert hat aus dem Speisewagen Bier und Wein geholt, und wir stoßen an auf eine gute Reise.

 

Und dann begeben wir uns für ein paar Tage in die Routine TransSib: Abendessen und Frühstück im Speisewagen (das Essen ist gar nicht schlecht) und Kaffee und kleine Snacks mittags im Abteil. Es gibt in jedem Waggon einen für alle stets zugänglichen Heißwasserboiler, so dass man sich Kaffee oder Tee kochen kann.

 

Nach dem Abendessen freuen wir uns auf die erste Nacht im Zug.

 

Donnerstag, 23.05.

 

An normalen Maßstäben gemessen, war es keine gute Nacht. Die Betten sind zu schmal, und die Geräuschkulisse war auch nicht so, dass man ruhig schlafen konnte. Aber was soll‘s - wir sind in der Transsibirischen Eisenbahn und können uns den ganzen Tag ausruhen - wozu braucht man dann Schlaf?

 

Zum Frühstücken gehen wir in den Speisewagen. Es gibt Brot, Wurst, Käse, Spiegeleier, Omelett, …, und natürlich Kaffee und Orangensaft. Wir können zufrieden sein.

 

Zurück im Abteil, setzen wir die gestern begonnene Tätigkeit fort: aus dem Fenster schauen!

 

Mittlerweile sind wir in Irkutsk, ein Fünftel der Strecke liegt hinter uns. Hier steigen einige Reisende aus und neue kommen hinzu, und die Post wird ein- und ausgeladen. Auch in unserem Waggon werden zwei oder drei Abteile neu belegt. In diesem Waggon mit der Nummer 3 sind insgesamt neun 1. Klasse Abteile untergebracht, in jedem davon gibt es nur zwei Betten. In der zweiten Klasse sind in jedem Abteil vier Betten, und in der dritten Klasse sind die Abteile offen, und es gibt zusätzlich Betten längst des Ganges. Dagegen haben wir es richtig komfortabel  – auch wenn die Toiletten schicker sein könnten.

 

Bald sind wir auch schon am Baikalsee, und einige hundert Kilometer lang folgen wir nun seinem Südufer - links der See, rechts der Trans-Baikal-Highway, und im Hintergrund die schneebedeckten Ausläufer des Sajan Gebirges. Mit solch einer Aussicht lässt es sich gut reisen.

 

Im Baikalsee gibt es Fische, die sonst nirgendwo vorkommen, der berühmteste ist der Омуль, der Omul. Er soll sehr gut schmecken – und wenn die Fischbude auf dem Bahnsteig geöffnet hätte, hätten wir auch welchen kaufen können.

 

Wir genießen die Landschaft und sind erstaunt, dass Sibirien - zumindest in dem Teil, den wir durchfahren, nicht ganz so menschenleer ist, wie wir das erwartet hatten. Andererseits kann man sich natürlich auch denken, dass die Menschen, die hier leben, sich entlang der Bahnlinie ansiedeln. Immer wieder sehen wir kleine Dörfer, die Häuser oft mit bunten Dächern und immer mit einem Stück Land, auf dem die Besitzer Kartoffeln und Gemüse anbauen. In manchen gibt es auch auffällig schöne Basiliken.

 

Entlang der Bahnstrecke gibt es fast durchgehend ein Handynetz, und dank meiner russischen Simkarte können wir ohne zusätzliche Kosten unsere Fahrtstrecke auf Google Maps verfolgen.

 

Wir fahren durch insgesamt etwa 500 Bahnhöfe, oft mit aufwendig gestalteten Bahnhofsgebäuden. Für uns ist es jedesmal ein Sport, anhand der kyrillischen Schrift herauszufinden, wo wir gerade sind, und wenn uns das nicht gelingt - der Name der Stadt steht an jedem Bahnhof auch in lateinischer Schrift.

 

An manchen Bahnhöfen hält der Zug, an den meisten allerdings nicht. Dem Fahrplan können wir entnehmen, wie lange der Aufenthalt jeweils dauert, und wir können aussteigen und uns die Beine vertreten, beobachten, wie Post und Fracht aus- und eingeladen wird, oder uns in einem der meist vorhandenen kleinen Läden etwas kaufen, ein Eis oder Schokolade oder etwas ähnliches. Eva und Norbert versorgen sich mit eingelegten Gurken, die man in Russland überall bekommt. Die legendären Babuschkas, Frauen aus der Gegend, die auf den Bahnsteigen selbstgemachte Speisen verkaufen, bekommen wir leider nicht zu Gesicht.

 

Nachmittags gegen drei sind wir in Ulan Ude. Wir haben den weiter nach Norden verlaufenden Baikalsee gen Osten verlassen und sind nun in der Provinz Burjatien.

 

Wir fahren „mit“ der Uhr, seit Krasnojarsk mussten wir sie schon zweimal um eine Stunde vorstellen. Deutschland sind wir mittlerweile um sieben Stunden voraus.

 

Übrigens sind die Bahnübergänge hier alle doppelt gesichert, damit auch ja keiner auf die Idee kommt, durch die geschlossene Schranke zu fahren .

 

Für die zweite Nacht im Zug gibt Eva mir Ohropax. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich so etwas benutze, aber es hilft.

 


 

Freitag, 24.05.

 

Der Tag fängt ruhig an. Als ich gegen 5.00 Uhr aufwache, steht der Zug – mitten auf der Strecke, ein Bahnhof ist nicht in Sicht. Und er steht hier ca. zwei Stunden. Es gibt technische Probleme, sagt man uns. Wir haben also schlicht und ergreifend eine Panne. Nur gut, dass wir es nicht eilig haben. Fahrzeuge der russsischen Eisenbahn sind vor Ort, es scheint ein Problem mit den Bremsen zu geben. Es dauert noch eine ganze Weile, aber dann fährt der Zug langsam ruckelnd wieder an, und bald hat er auch wieder seinen normalen Rhythmus gefunden.

 

Wir sind mittlerweile an Chita vorbei und fahren entlang der Shilka, die hier (sehr schnell übrigens) durch grüne, feuchte Landschaft fließt. Weiter nördlich, nach dem Zusammenfluss mit dem Argun wird sie übrigens dann zum Amur. Aber soweit sind wir noch nicht.

 

Städte und Dörfer ziehen an uns vorbei. Es ist ein ruhiges, aber keinesfalls langweiliges Leben hier im Zug. Es gibt immer wieder Interessantes zu sehen, und in den Dörfern an der Strecke versteckt sich so manches bauliche Kleinod.

 

Auf der gesamten Strecke begegnen uns immer wieder lange Güterzüge mit Ladungen unterschiedlichster Art, darunter häufig Holz und Kohle. Hier wird noch sehr viel Güterverkehr über die Schiene abgewickelt.

 

Einen Stopp in Chernyshevsk-Zabajkal’skij nutzen Ulrich und Norbert zum Fensterputzen. Danach werden dann unsere Fotos noch besser!

 

Langsam wird die Landschaft trockner. Wir umfahren jetzt die Mandschurei, heute Abend überqueren wir den Amur.

 

 

 

 


 

Samstag, 25. Mai

 

Am frühen Morgen erreichen wir den nördlichsten Streckenabschnitt auf unserer Reise. In Skovorodino teilt sich die Bahnstrecke, und ein Teil führt nach Norden, nach Jakutsk. Wir fahren weiter nach Osten. Am Amur entlang umrunden wir die Mandschurei, immer ganz nah an der chinesischen Grenze. In Chaborovsk führt die Bahnlinie dann wieder nach Süden, nach Wladiwostok, wo wir morgen früh ankommen werden. Heute ist also unser letzter Tag im Zug.

 

In Belogorsk gibt es eine wohl nicht unbekannte Leninstatue, wir fotografieren sie pflichtschuldig.

 

Nun sind wir schon über 8.000 km östlich von Moskau, d.h. ca. 10.000 km östlich von Berlin. Die Landschaft ist nicht so abwechslungsreich – grünes Grasland mit lockerem Baumbestand, in erster Linie Birken und Nadelgehölze, manchmal auch eine Viehweide. In den Dörfern hat jedes Haus ein Stück Ackerland, wo jetzt gerade Kartoffeln gepflanzt werden.

Viele Häuser haben auch mindestens eine Satellitenschüssel, …

 

… aber eine geordnete Müllabfuhr gibt es offensichtlich nicht, die Leute werfen ihre Abfälle einfach über den Zaun.

 

Auch wenn sich das nicht so spannend anhört, ist die Bahnfahrt keineswegs langweilig. Die Zeit vergeht mit schauen, fotografieren und lesen erstaunlich schnell. Und es ist jedes Mal wieder aufregend, wenn wir auf der Karte sehen, wo wir uns gerade befinden.

Im Moment bewegen wir uns am Rand des Permafrost-Bereiches, der Gegend, in der auch im Sommer die Böden nicht ganz auftauen. Jetzt im Frühjahr sind weite Teile des Landes sumpfig oder auch überschwemmt, und in der Tiefe bleibt der Boden gefroren. Hier ist eine der fruchtbarsten Regionen Rußlands.

 

Interessant ist auch, dass es hier in Sibirien eine autonome jüdische область (Oblast), eine autonome Verwaltungsregion Russlands gibt. Ihr Verwaltungszentrum ist in Birobidschan. Die hebräischen Schriftzeichen sind noch schwieriger zu entziffern als die kyrillischen.

Abends überqueren wir den Amur und erreichen Chabarovsk, die letzte größere Stadt vor Wladiwostok. Hier steigen viele Leute ein und aus.

 

Noch eine letzte Nacht im Zug …

 

 

 


 

Sonntag, 26. Mai

 

… und morgens sind wir schon am Meer und fahren auf Wladiwostok zu.

 

Heute ist Ulrichs Geburtstag, und Eva und Norbert begrüßen ihn mit einem Ständchen.

 

Auf das Frühstück im Speisewagen müssen wir heute verzichten, da wir bereits um 7.00 Uhr morgens am Ziel sein werden. Also sind ein Kaffee im Abteil und Kofferpacken angesagt. Trotz des unplanmäßigen Aufenthaltes am dritten Tag ist der Zug pünktlich in Wladiwostok, Unpünktlichkeit ist bei der Transsibirischen Eisenbahn ein Tabu.

Wir sind fast ein wenig enttäuscht, dass diese Fahrt nun schon zu Ende ist.

Wir lassen uns noch Zeit, schauen uns den Bahnhof an und fotografieren ausgiebig.
Auf dem Bahnsteig steht eine alte Dampflokomotive und davor eine kleine Säule, die das Ende der Transsibirischen Eisenbahn kennzeichnet. Laut ihrer Inschrift befinden wir uns 9.288 km von Moskau, dem Startpunkt, entfernt.

Dann rufe ich Yulya an, die uns die gebuchten Apartments übergeben wird. Schon während der Eisenbahnfahrt haben wir uns per SMS und What‘s App verabredet. Wir übernachten in den Signature Studios. Das Haus ist nicht weit vom Bahnhof entfernt, und wir entschließen uns zu laufen. Die Bürgersteige hier sind nicht nur glatt, und ein Teil des Weges geht auch bergauf. Aber wir sind trotzdem nach relativ kurzer Zeit vor Ort, Yulya kommt gleichzeitig mit uns an. Die Apartments befinden sich in einer Etage eines größeren Hauses, in dem Wohnungen und Büros untergebracht sind. Yulya bringt uns durch den Lieferanteneingang (nur hier gibt es einen Fahrstuhl) und die Wäschekammer hinein. Die Apartments sind höchst unterschiedlich. Das einzig schöne, mit dem auch auf Booking.com geworben wird, haben Ulrich und ich gemietet. Eva und Norbert haben einen Miniraum, der eigentlich nicht zumutbar ist - doof! Wir beschweren uns deutlich, doch Yulya ist nicht befugt, irgendwelche Änderungen zu veranlassen. Später am Tag ruft mich der Eigentümer der Apartments an und bietet Eva und Norbert einen Zimmerwechsel für den nächsten Tag an. Wir treffen ihn am späten Nachmittag. Er ist ein junger, smarter, sehr gewinnender Geschäftsmann, der offensichtlich genau weiß, wie man Kunden behandeln muss, damit es hinterher keine schlechten Bewertungen auf den Buchungsportalen gibt. Er erzählt von diesem und jenem, von seinen Europaaufenthalten, er holt sich Ratschläge ein, welches Auto er kaufen soll - und stellt so eine angenehme Atmosphäre her. So langsam verfliegt unser Ärger, und morgen können Eva und Norbert in ein größeres Zimmer umziehen, ohne dass sie den Aufpreis bezahlen müssen. Darüber hinaus bekommen wir die Hälfte des Zuschlags für das frühe Einchecken erlassen. Dass wir dafür unsere Buchungen bei booking.com stornieren und bei ihm neu buchen müssen, hat für ihn den Vorteil, dass er keine Gebühr zahlen muss - eine klassische win-win-Situation.

Unser Apartment ist wirklich schön, großzügig mit einem kleinen Küchenblock und einer Art Wintergarten, und mit einem sehr schönen Bad.

 

Wir richten uns ein wenig ein, und um 11.00 Uhr machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Auf dem Zentralplatz am Bahnhof steht die ja doch in vielen Städten noch obligatorische Leninstatue. Sie dient den hier zahlreich vertretenen koreanischen Reisegruppen als Hintergrund fürs Foto, und der ausgestreckte Arm ist ein gemütlicher Landeplatz für die Tauben.

 

Auf dem Zentralplatz mit dem Denkmal für Soldaten, die in Südostasien gekämpft haben, ist Wochenmarkt, und Norbert füllt seinen Gurkenvorrat auf. Hier lebt noch ein wenig vom alten Rußland in dem mittlerweile sehr modernen Wladiwostok. Die Stadt findet sich neu und wirkt jung und dynamisch, es gibt elegante Geschäfte und schicke Restaurants. Und in einem von ihnen, im Coffee Molka (früher wohl Burgernaya Zhadnost) machen wir eine frühe Lunchpause, schließlich hatten wir kein Frühstück. Leider gibt es keine englischen Speisekarten, also müssen die Russischkentnisse von Eva und Norbert und die Google-Übersetzungsapp herhalten, damit wir etwas zu essen bekommen.

 

Dann gehen wir weiter die Swetlanskaja Uliza entlang. Am Fährhafen steht die St. Andrews Kapelle mit Gedenksteinen für die im zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten. Davor ist ein U-Boot zu einem Museum ausgebaut. Die Besichtigung ist allerdings enttäuschend. Das Boot ist innen großenteils entkernt, und ein richtiges U-Boot-Feeling kommt nicht auf.

 

Mittlerweile ist es sehr heiß geworden, und das Herumlaufen wird immer anstrengender. Wir entscheiden uns daher für eine Bootsfahrt zu den beiden berühmten Brücken von Wladiwostok. Die 2012 erbaute Russki-Brücke überspannt mit einer Länge von 3100 Metern den östlichen Bosporus und verbindet Wladiwostok mit der Insel Russki. Im gleichen Jahr fertiggestellt wurde die Solotoi-Brücke, sie ist einen Kilometer kürzer als die Russki-Brücke und überspannt das Goldene Horn. Den Namen bekam die Bucht übrigens wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem Goldenen Horn in Istanbul (bei der Namensgebung noch Konstantinopel).

 

Nach dieser gemütlichen, kühlen Fahrt haben wir wieder genug Kraft, um den Weg nach Hause anzutreten.

 

Zum Abendessen gehen wir in die „Brothers Bar“, ein Open-Air-Restaurant, in dem die junge Schickeria von Wladiwostok ihre Designerklamotten ausführt - ein angemessener Ort, um Ulrichs Geburtstag zu feiern.

 

 


 

Montag, 27.05.

 

Heute macht jeder seins. Wir frühstücken noch zusammen in unserer Loggia. Wir hatten Übernachtungen mit Frühstück gebucht, und das Frühstück wird uns ins Zimmer gebracht. Es besteht aus einem süßen Teilchen pro Person. Den Kaffee müssen wir uns selbst kochen, immerhin gibt einen Kaffeautomaten und Kapseln. Wenn wir mehr essen wollen, müssen wir uns das selbst besorgen - kein richtiger Grund für eine gute Bewertung! Dennoch genießen wir den Start in den Tag mit Blick auf das Meer. Zumindest Ulrich und ich frühstücken zu Hause ja auch nicht.

 

Und dann trennen wir uns. Eva und Norbert müssen umziehen, und wir erkunden Wladiwostok zu Fuß. Im Westen der Stadt, an der Amurbucht, gibt es eine breite Uferpromenade und eine kleine Marina, für die Kinder steht ein bunter Spielplatz zur Verfügung. Hier in der Nähe ist auch das Oceanarium, wir verzichten aber auf den Besuch und lassen uns lieber weiter treiben.

 

Wir schlendern kreuz und quer durch die Gassen der Innenstadt. Wir kommen am Stadion von Dynamo Wladiwostok vorbei und gehen durch eine Anlage, die die Partnerstädte Wladiwostoks darstellt. Wir laufen durch gepflegte Fußgängerzonen und schauen uns die vielen kleinen Läden und Boutiquen rechts und links an.

 

Wenn man von dem ein oder anderen Denkmal absieht, ist in Wladiwostok von der sozialistischen Vergangenheit nicht mehr viel zu bemerken. Die Kirchen erwachen zu neuem Leben bzw. werden ganz neu gebaut, und ihre Kuppeln glänzen in der Sonne. Und die Souvenir-Industrie blüht bunt und manchmal auch laut.

 

Westliche Geschäfte haben sich angesiedelt. Im dem 1907 errichteten Jugendstilbau des altehrwürdigen Kaufhauses Kunst & Albers, das unter Sowjetzeiten zum Kaufhaus Gum wurde, hat sich heute Zara angesiedelt, ein vertrautes, aber gleichzeitig auch ganz fremdes Gefühl.

 

Wir essen wieder im selben Lokal wie gestern zu Mittag, nur dauert heute der Bestellprozess ungleich länger. Uns fehlen die Sprachkenntnisse von Eva und Norbert, und wir sind ausschließlich auf Google angewiesen. Man kann die Texte fotografieren und bekommt eine mehr oder weniger gute Übersetzung geliefert. Ich möchte das essen, was Eva gestern hatte, mit Lachs gefüllte Blinis, habe aber keine Ahnung, wo das auf der Speisekarte steht - leider finde ich es erst auf den letzten Seiten. Das hat gedauert! Aber dann bekommen wir wirklich das, was wir auch wollten. Ich schätze mal, in Japan wird das schwieriger.

 

Am späten Nachmittag gehen wir zurück ins Apartment. Auf dem Weg kommen wir am Hafen vorbei. Der Kai steht voll mit japanischen Autos, die Gebrauchtwagen sind in Wladiwostok sehr gefragt. So sieht man hier auch fast ausschließlich Autos mit Rechtslenkung, was eigentlich nicht zum hier herrschenden Rechtsverkehr passt. Unsere Fähre, die Eastern Dream, mit der wir übermorgen nach Japan fahren, ist auch schon da. Sie verkehrt nur einmal in der Woche. Vielleicht hat ja sie die Autos mitgebracht.

 

Eva und Norbert haben ihr neues Zimmer bezogen und die restliche Zeit genutzt, um mit einem Taxi eine kleine Stadtrundfahrt zu machen.

 

Noch als wir auf dem Heimweg waren, hatte es zu regnen begonnen, und es hört auch vorerst nicht wieder auf. Unser Taxi, das uns zum Abendessen in das Farmrestaurant Ogonek bringen soll, lässt auf sich warten, die Innenstadt ist ein einziger Stau. Als es etwa 45 Minuten zu spät auftaucht, verlangt der Fahrer gleich ein Vielfaches des vorher vereinbarten Fahrpreises. Aber wir haben keine Wahl, wenn wir wirklich in dieses Restaurant wollen - es regnet immer noch, und ein anderes Taxi finden wir mit Sicherheit nicht.

 

Das Essen im Ogonek ist richtig gut. Ulrich und ich haben King Crabs, und die sind köstlich.

 

Die Rückfahrt ist einfacher. Vom Restaurant wird ein Taxi bestellt, und nach ein paar Minuten ist es da.

 

 


 

Dienstag, 28.05.

 

Der Tag fängt schlecht an. Ein Geldautomat kassiert Norberts Kreditkarte und lässt sich nicht überreden, sie wieder herauszugeben. Glücklicherweise ist unter der am Automaten angebrachten Telefonnummer auch tatsächlich jemand zu erreichen, und Norbert bekommt die Zusage, dass er seine Karte morgen früh in der Bankfiliale abholen kann. Was hätten wir getan, wenn Norbert kein Russisch gekonnt hätte?

 

Aber nun können wir unser geplantes Tagesprogramm auch umsetzen. Wir wollen zur Südspitze von Wladiwostok, zum Tokarevskiy Leuchtturm, einem beliebten Ausflugsziel.

 

Vorher aber fahren wir mit einem Taxi zum Eagles Nest, einem Aussichtspunkt mit gutem Blick über die Stadt. Hoch geht es mit einer Standseilbahn.

 

Nachdem wir ausreichend fotografiert haben, fahren wir zurück in die Stadt. Zusammen werfen wir noch einen Blick auf die Eastern Dream, und dann setzen wir uns in einen Bus, der uns zu unserem Ziel bringt - dachten wir! Der Weg von der Endhaltestelle bis zum Leuchtturm ist noch sehr weit. Es ist heiß, und wir laufen an der Straße entlang.

 

Aber dann haben wir es geschafft! Wir sehen einen der ältesten Leuchttürme in Russlands Osten. Er wurde 1876 am Ende des Kaps Tokarevskiy erbaut und war ursprünglich durch eine Holzbrücke mit dem Land verbunden. Diese ist mittlerweile zerstört, und der Leuchtturm ist nur bei Ebbe über eine schmale steinige Landbrücke zu erreichen. Diese ist jetzt schon deutlich überspült, aber Norbert zieht Schuhe und Strümpfe aus und watet zum Leuchtturm.

 

Der Tokarevskiy Leuchtturm ist ein inoffizielles Symbol von Wladiwostok, viele Paare kommen hierher, um ihre Hochzeitsfotos zu machen, und im Sommer ist er ein beliebter Platz für Picknicks und Barbecues.

 

Auch heute sind viele Menschen hier und versuchen, sich mit bunten, wehenden Tüchern fotogen vor dem Leuchtturm zu positionieren. Ein bißchen nervig ist es schon.

 

Es gibt hier ein halboffenes Seefoodrestaurant, und wir beschließen, hier zu lunchen. Kaum sitzen wir, toben Sturmböen durch das Haus, und ein Platzregen setzt ein - gerade noch geschafft! Das Essen ist nicht wirklich gut (Reis mit eher wenig Meeresfrüchten), aber wir sitzen trocken, während das Personal damit beschäftigt ist, Türeingänge und Fenster zu sichern.

 

Nach dem Ende des kleinen Unwetters klart der Himmel schnell wieder auf, und wir machen uns auf den Weg zur Bushaltestelle.

 

Busfahren ist übrigens eine sehr gute Form des Sightseeings, auch wenn die örtlichen Busse die Entwicklung in die modernen Zeiten eher verpasst haben - es gibt also doch noch ein Relikt aus Sowjetzeiten.

 

Auf dem Weg ins Hotel kaufen wir noch ein paar Vorräte für die Fährfahrt ein. Wer weiß, ob es auf dem Schiff wirklich etwas zu essen gibt.

 

Heute abend essen wir im Restoran Gus‘ Karas‘. Hier gibt es original russische Küche, und das gar nicht so schlecht.

 

Die Taxifahrten hin und zurück verlaufen übrigens problemlos.

 

 


 

Mittwoch, 29.05.

 

Norbert steht früh auf. Er will zur Geschäftsöffnung in der Bankfiliale sein, wo er (hoffentlich!) seine Kreditkarte zurück bekommt.

 

Ansonsten haben wir Zeit, in Ruhe die Koffer zu packen. Es reicht, wenn wir gegen Mittag an der Fähre sind, um 14.00 Uhr soll sie ablegen. Zwischendurch kommt ein Anruf von Norbert mit einer Erfolgsmeldung. Er hat die Kreditkarte zurück, und der Rest des Urlaubs ist gerettet.

 

Wir gehen zu Fuß zum Fährterminal, nur für die Koffer nehmen wir ein Taxi. Wir sind früh vor Ort und schauen uns noch in den Souvenirläden um und tauschen etwas Geld in US-Dollars um. Wir fahren auf einer koreanischen Fähre, auf der keine Rubel genommen werden, sondern nur Dollar und Dong (die koreanische Währung), und ob man mit Kreditkarten bezahlen kann, wissen wir nicht.

 

Beim Einchecken wird unser Gepäck durchleuchtet, in die Pässe kommt ein Ausreisestempel, und wir erhalten Bordkarten. Im Schiff gibt es dann eine Art Rezeption,wo wir den Schlüssel für unsere Kabine (die Juniorsuite) erhalten. Wir sind ganz zufrieden, es gibt ein Doppelbett und ein richtig großes Fenster.

 

Das Ablegen schauen wir uns von Deck aus an, und dann erkunden wir das Schiff. Es ist kein Kreuzfahrtschiff, außer einem Miniladen gibt es noch ein einfaches Restaurant und einige Getränkeautomaten. Für Frühstück und Abendessen muss man an der Rezeption Coupons kaufen.

 

Es gibt nicht nur kleine Kabinen an Bord, sondern auch Schlafplätze auf Tatamimatten. Der ganze Raum ist lückenlos mit solchen Matten ausgelegt. Hier finden 15-20 Leute Platz, die Schuhe stehen vor der Tür.

 

Kurz vor halb sieben wird über die Bordanlage zum Abendessen aufgefordert. Der Weg zum Restaurant ist relativ weit. Es ist von innen nicht zugänglich, man muss über das Seitendeck laufen, um es zu erreichen. Als wir ankommen, hat sich schon eine kleine Warteschlange gebildet. Die Türen werden erst pünktlich um 18.30 Uhr geöffnet. Es gibt koreanisches Buffet, und jeder versorgt sich selbst. Zum Trinken gibt es Wasser aus dem Automaten oder Tee. Die Räumlichkeiten haben klassischen Kantinencharme, und nach gut einer halben Stunde sind alle mit dem Essen fertig, und der Raum leert sich rapide. Um 19.15 Uhr sind die Türen bereits wieder verschlossen.

 

Uns bleibt ein Drink in dem anderen Restaurant und der Sonnenuntergang an Deck. Dann lassen wir uns mit Blick auf den Sternenhimmel weiter über das japanische Meer schaukeln.

 

 


 

Donnerstag, 30.05.

 

Beim Frühstück geht es genauso zu wie beim Abendessen, und es gibt noch nicht einmal Kaffee. Den müssen wir uns hinterher wieder im Restaurant kaufen. Das allerdings hat den Vorteil, das wir ihn in der Morgensonne draußen an Deck trinken können.

 

Am späten Vormittag sind wir Donghae, in Südkorea. Hier haben wir sieben Stunden Aufenthalt, und wir können von Bord. Wir müssen richtig auschecken und in Südkorea einreisen. Es verbreitet sich das Gerücht, dass wir unsere Kabinen räumen müssen, wenn wir von Bord gehen. Eva und Norbert tun das auch, wir nicht - mit dem Ergebnis, dass ihre Kabine gereingt und die Wäsche gewechselt wurde, bei uns nicht!

 

Nun werden wir also so ganz nebenbei auch noch eine südkoreanische Stadt kennenlernen. Donghae an der Ostküste Südkoreas hat ca. 90.000 Einwohner. Im ehemals wichtigsten Hafen in dieser Region hat die südkoreanische Marine immer noch das Hauptquartier ihrer ersten Flotte.

 

Der Fährhafen liegt weit außerhalb der Innenstadt von Donghae, und zunächst scheint es, als könnten wir keinem der wartenden Taxifahrer klar machen, wohin wir wollen. Fast wollten wir schon enttäuscht einfach loslaufen, als sich mithilfe eines Passanten dann doch ein Fahrer findet, der uns zum Rathaus bringt.

 

Von hier aus machen wir uns auf den Weg in die moderne und gepflegte Stadt. Die Straßen sind großzügig angelegt und mit vielen Blumen geschmückt, viele Leute sind allerdings nicht unterwegs.

 

Wir bummeln die Hauptgeschäftsstraße rauf und runter und landen dann in einer Bar im zehnten Stock eines Hochhauses. Es gibt Bier und Kleinigkeiten zu essen, und man kann in Ruhe von oben das Treiben auf der Straße beobachten, z.B. die Politesse, die falsch geparkte Autos aufschreibt oder die praktischen Sonnenschirme, die an den Ampeln für die Wartenden aufgestellt sind.

 

Mit einem Taxi fahren wir zurück zum Fährterminal. Dieses Ziel ist einfacher zu vermitteln als das in der Gegenrichtung - wir haben eine Art Visitenkarte dabei, die wir dem Fahrer zeigen.

 

Wir müssen noch etwas warten, bis wir wieder auf die Fähre dürfen. Wir bekommen den Ausreisestempel, neue Bordkarten und den Schlüssel zur Kabine zurück, und dann kann die Fahrt weitergehen.

 

Heute Abend essen wir gleich in dem kleinen Restaurant, Pommes und Burger oder so etwas Ähnliches. Es ist hier auch nicht ausgesprochen schön oder auch nur gemütlich, aber immer noch besser als im allgemeinen Speisesaal.


 

Freitag, 31.05.

 

Zum Frühstück treffen wir uns auch wieder in diesem Restaurant. Hier bekommt man wenigstens den Kaffee zusammen mit dem Essen - und sie braten sogar Spiegeleier.

 

Wir sind früh dran, um 9.00 Uhr ist unsere Ankunft in Sakaiminato in Japan geplant. Wir sind noch eine Weile an Deck, aber pünktlich stehen (sitzen) wir mit unseren Koffern bereit, als das Schiff anlegt. Die Einreise nach Japan ist kein Problem, und sehr neugierig und gespannt auf neue Eindrücke kommen wir dann im Terminal an. Hier sollen wir abgeholt werden. Leider hat Hana, die um kurz vor zehn endlich auftaucht, sich um eine Stunde vertan. Aber nun geht es endlich los. Mit einem Shuttlebus fahren wir zum Bahnhof von Sakaiminato. Hier lässt Hana, unsere Begleiterin für die nächsten Tage, unsere Japan Railway Pässe ausstellen, die uns berechtigen, während unseres Aufenthaltes hier die japanische Eisenbahn ohne zusätzliche Kosten zu nutzen. Für die wichtigsten Strecken im Shinkansen, dem berühmten Hochgeschwindigkeitszug besorgt sie auch Platzkarten für uns. Es dauert eine Weile, der Fahrkartenschalter hier sieht nicht so aus, als würde er sich in einem hochtechnisierten Land befinden. Wir schauen uns in dieser Zeit ein wenig um, aber erstens regnet es und zweitens gibt es außer Animedarstellungen und -figuren  nichts Interessantes zu sehen. Shigeru Mizuki, ein bekannter Mangazeichner, wurde in Sakaiminato geboren. Ihm zu Ehren hat die Stadt 1996 eine Straße gebaut, auf der Bronzestatuen seiner Figuren aufgestellt sind. Das interessiert uns jedoch weniger, da machen wir uns im Bahnhof lieber schon einmal mit den japanischen Toiletten vertraut machen und probieren in Ruhe alle Knöpfe aus, für Hintergrundgeräusche, für Raumspray, für duschen von hinten und von vorne, und, und, und. Die Klobrillen sind beheizt und manche Toiletten haben auch einen Föhn.

 

Dann aber geht es los Richtung Hiroshima. Wir müssen ein paar Mal umsteigen. Der erste Zug ab Sakaiminato hat Sitze mit Manga-Motiven, und auf den Lehnen sind Stellen gekennzeichnet, an denen man sich besonders gut mit so einer Figur fotografieren lassen kann.

 

In Okayama, einem der Umsteigeorte, essen wir in einer Mall in einem italienischen Restaurant eine Kleinigkeit. Wir haben nicht viel Zeit und können uns so schnell nicht über etwas anderes einigen. Hier steigen wir dann auch für die letzte Etappe in den Shinkansen. Wir sind beeindruckt sowohl von dem großzügigen Inneren des Zuges, von der Pünktlichkeit, der Sauberkeit und nicht zuletzt der Geschwindigkeit. Sie beträgt stets so knapp 300 km/h, manchmal auch darüber. Der Preis ist, dass man draußen nicht so sehr viel sehen kann. Der Zug fährt auf eigenen Gleisen und huscht durch die Orte, oft fährt er auch im Tunnel oder in einer Art Graben zwischen Schallschutzwänden.

Am frühen Nachmittag kommen wir in Hiroshima an. Mit zwei Taxen fahren wir zum Hotel. Wiederum sind wir beeindruckt von der Sauberkeit und der guten Luft in den Autos, die Sitze haben weiße Bezüge, und die Fahrer tragen Uniform und weiße Handschuhe.

 

Ulrich und ich sind zuerst am Hotel, ein paar Minuten später kommen auch Norbert, Eva und Hana an. Hana wirkt etwas fahrig und weiß auf kaum eine Frage sofort eine Antwort. Sie kann uns nicht sagen, wo wir in der Nähe Wasser kaufen können oder wo ein Geldautomat ist oder wie lange die Geschäfte geöffnet haben - aber nun ja, das werden wir auch schon allein herausfinden.

 

Hana möchte gleich nach unserer Ankunft mit uns zur Atombombenkuppel (Atomic Bomb Dome) dem Friedensdenkmal der Stadt. Dieses Gebäude ist das einzige, von dem nach dem Atombombenabwurf am 06. August 1945 noch etwas übrig geblieben ist, obwohl es sich nur 140 Meter vom Hypozentrum, dem Punkt null der Explosion befand, die in 600 Meter Höhe stattfand.

 

Wir möchten uns aber lieber zuerst einrichten, und eigentlich möchten wir auch ganz gern allein zum Dome gehen, er ist nicht weit von unserem Hotel entfernt. Wir geben Hana also frei (was gar nicht so einfach ist) und treffen uns später, um zusammen und in aller Ruhe die Atmosphäre der Stadt und des Friedensparks, zu dem der Dome gehört, zu erfahren. Der Stadt Hiroshima, die vor fast 75 Jahren durch den Abwurf der ersten Atombombe völlig zerstört wurde, einer Stadt, die durch diesen Bombenabwurf insgesamt ca. 340.000 Opfer zu beklagen hat, ist es gelungen, die Erinnerung an dieses Ereignis berührend und würdevoll zu erhalten. Das werden wir morgen auch noch erleben, wenn wir den gesamten Friedenspark anschauen. Trotzdem strahlt die Stadt heute Optimismus aus und wirkt zukunftsorientiert. Sie hat mit ihrer schrecklichen Vergangenheit abgeschlossen, aber nicht, weil sie die Vergangenheit vergessen hat, sondern weil sie diese als Mahnmal für die Zukunft bewahrt.

 

Das neue, moderne Hiroshima erfahren wir ein paar Straßen weiter. Wir erleben eine Großstadt mit schicken Geschäften und großen Einkaufsmalls. Wir würden gern ganz traditionell zu Abend essen und haben Mühe, unter all den modernen Restaurants ein entsprechendes Lokal für uns zu finden. Aber dann gelingt es uns doch. Wir müssen die Schuhe ausziehen und sitzen an Tischen auf Bodenhöhe. Für die Beine gibt es darunter eine Art Kuhle. Es gibt hier ausschließlich frittierte Dinge, man bestellt nach Menge und bekommt dann nacheinander verschiedene kleine Spieße serviert, mit Fisch, Gemüse, Fleisch und anderen Zutaten, die wir nicht alle identifizieren können. Und die englischen Sprachkenntnisse des Kochs und der Kellnerin reichen nicht aus, um uns etwas zu erläutern. Aber wir sind sehr zufrieden sowohl mit unserem ersten Tag in Japan, als auch mit dem Essen. Es gibt hier übrigens - wie fast überall in den japanischen Restaurants - ordentlichen Wein und alkoholfreies Bier, normales Bier natürlich auch.

Und auf dem Heimweg finden wir auch ein SevenUp, in dem wir Wasser kaufen können und in dem es einen Geldautomaten gibt.

 

 


 

Samstag, 01.06.

 

Wir frühstücken im 8. Stock mit einem wunderbaren Blick über den Friedenspark. Das Frühstücksbuffet ist in Ordnung. Es gibt nach japanischer Art Suppen, Nudel- und Reisgerichte, viel Fisch, aber auch Brot und Belag, Joghurt, Obst, Müsli und etwas süßes Gebäck. Nur die Rühreier sind eine Katastrophe.

 

Um neun Uhr holt Hana uns im Hotel ab und wir gehen in den Friedenspark. Wieder werden wir von dieser vornehmen Gedenkatmosphäre umfangen. Im Park gibt es mehrere Mahnmale,die an die Opfer erinnern, sei es Kenzo Tanges Zentotaph, in dem die Namen aller Opfer verzeichnet sind, sei es die Friedensflamme, die erst dann erlöschen soll, wenn es keine Atomwaffen auf der Welt mehr gibt, sei es die Friedensglocke oder der Hügel, der aus der Asche der unidentifizierten Opfer aufgeschüttet wurde … alles ist sehr berührend. Ganz besonders ans Herz geht aber das Kinder-Friedensdenkmal. Es zeigt ein Mädchen, das in ihren ausgestreckten Armen einen Kranich hält. Es geht zurück auf die Geschichte eines kleinen Mädchens, das in der Hoffnung auf Heilung 1000 Papierkraniche gefaltet hat. Das Mädchen wurde nicht geheilt, aber der Kranich wurde zum Symbol für Glück und ein langes Leben. Seitdem falten insbesondere Schulkinder in Japan Kraniche und legen sie im Rahmen einer ergreifenden Zeremonie beim Mahnmal ab. Wir konnten ihnen dabei zuschauen.

 

Auch wir falten Kraniche und legen sie beim Denkmal hin - und es fühlt sich sogar richtig an.

 

Nicht gut zu ertragen sind die Filme, die wir uns im Dokumentationscenter anschauen, und auch die Ausstellung zu den Ereignissen im August 1945 ist sehr bedrückend, man kommt den Dingen viel zu nahe. Im Foyer ist eine Friedensuhr installiert, sie zeigt die aktuelle Zeit und die Uhrzeit der Bombenexplosion (06.08.1945, 08.10 Uhr) und ein Zählwerk zeigt die Anzahl der Tage, die seit dem Bombenabwurf vergangen sind (10.000) und die Anzahl der Tage seit dem letzten Atombombentest (190).

 

Am Nachmittag fahren wir nach Miyajima, eine kleine, Hiroshima vorgelagerte Insel. Sie galt bereits in frühhistorischer Zeit als heilige Insel. In der Vergangenheit durfte es hier weder Geburten noch Beerdigungen geben, da beides als Zustand der Unreinheit galt, und auch heute noch werden Tote von der Insel auf die Hauptinsel Honshu gebracht. 

Hauptattraktion dieser kleinen Insel ist der Itsukushima-Schrein, ein Shinto-Schrein ursprünglich aus dem 6. Jahrhundert. Seine heutige Form bekam er 1168. Die gesamte Anlage steht auf hölzernen Pfählen im Seto-See, und bei Flut scheint sie auf dem Wasser zu schwimmen.

 

Dass das berühmte rote Torii des Schreins zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten Japans gehört, ist nicht zu übersehen. Die Szenerie ist bevölkert von Horden von Menschen, die am Torii Muscheln sammeln, sich gegenseitig fotografieren oder mit den zahmen Hirschen, die hier leben und mit Vorliebe Papier fressen, ihren Spaß haben.

 

Zu jeder größeren Tempel- oder Schreinanlage gehört natürlich ein Bereich mit Geschäften und Restaurants. Bevor wir die Gebäude besichtigen, essen wir Okonimiyaki, spezielle Pfannkuchen mit Kohl und Ei, die auf einer heißen Platte zubereitet werden. Sehr lecker!

 

Der Schrein selbst ist sehr eindrucksvoll mit seinen Gebäuden und überdachten Verbindungsgängen in rot gestrichenem Holz. Ich weiß nicht warum, aber trotz der Menschenmassen strahlt der Schrein - zumindest an einigen Stellen - Ruhe und Einkehr aus. Es gibt ruhige Räume zum Meditieren oder Beten. Es gibt aber auch all die Dinge, die zu einem shintoistischen Schrein gehören, das Becken zum rituellen Reinigen, die Glückstäfelchen und auch die Sakefässchen, die man häufig in solchen Anlagen findet.

 

Zurück nach Hiroshima geht es mit Fähre, Bahn und Bus.

 

Heute Abend essen wir im japanischen Restaurant in unserem Hotel. Wir werden von Frauen in Kimonos bedient, und die Speisen sind fantasievoll und kreativ angerichtet, mal abgesehen davon, dass sie auch richtig gut schmecken. Ulrich und ich essen Shabu Shabu (eine Art japanisches Fondue) mit Koberind. Dabei genießen wir, wie auch schon beim Frühstück, die tolle Aussicht über die Stadt.

 

 

 


 

Sonntag, 02.06.

 

Heute endet bereits unser Besuch in Hiroshima - leider haben wir für Japan nicht so richtig viel Zeit.

Mit dem Shinkansen fahren wir Richtung Kyoto. Einen Zwischenstopp legen wir in Himeji ein. Hier liegt malerisch auf einer Steilklippe die berühmte weiße Burg, die Burg des weißen Reihers, wie sie in Japan genannt wird. Himeji-jo ist die grandioseste der zwölf verbliebenen Feudalburgen Japans, viele halten sie für die schönste aller Samuraiburgen überhaupt. Sie wurde ab 1333 gebaut, und nicht nur von außen, sondern auch innen macht die Burg einen sorgfältig geplanten und ausgestatteten Eindruck, ein Gebäude, bei dem nicht nur auf Zweckmässigkeit geachtet wurde, sondern auch Schönheit und Harmonie eine Rolle spielten - kein Vergleich mit den europäischen Burgen.

 

Der an die Burganlage angrenzende Garten (natürlich eigentlich ein Park, aber in Japan werden diese halt Garten genannt) ist ganz zauberhaft. Hier essen wir auch in einem Restaurant zu Mittag.

 

Dann aber müsssen wir zurück zum Bahnhof, und weiter geht es mit dem Shinkansen nach Kyoto. Wir kommen am Nachmittag an und fahren, wiederum mit zwei Taxen, ins Hotel. Das Kuu Kyoto ist ein kleines Haus im japanischen Stil, und nachdem wir unser erstes Zimmer (sehr klein, mit Blick aus dem Fenster direkt auf den Balkon eines anderen Zimmers) gegen ein größeres tauschen können, sind wir zufrieden.

 

Nachdem wir uns eingerichtet haben, machen wir uns auf den Weg, um die Gegend zu erkunden. Wir laufen durch kleine Gassen, finden einen Family Mart, in dem wir in den nächsten Tagen unser Wasser und ab und an ein Eis kaufen werden, finden auch Restaurants und gehen letztlich in ein Steakhouse, in dem das berühmte Waygu-Rindfleisch angeboten wird. Es schmeckt ausgezeichnet! Ich trinke „vine overflow“, das Glas wird auf einem Untersetzer serviert und bis zum Überlaufen gefüllt. Darüber hinaus gibt es das Angebot, ein Glas umsonst zu bekommen, wenn man den Besuch im Restaurant mit einem Foto per Twitter bewirbt. Es gelingt mir tatsächlich, den allerersten Tweet in meinem Leben abzusetzen, aber dann hat Ulrich schon die Rechnung bezahlt, bevor ich das Handy auch nur hochhalten kann. Nun ja, immerhin weiß ich jetzt, wie man twittert.


 

 

Montag, 03.06.

 

Heute werden wir verschiedene Ziele in Kyoto ansteuern.

 

Wir beginnen mit dem Ryoan-ji, dem Tempel des zur Ruhe gekommenen Drachen, ein Zen-Tempel aus dem 15. Jahrhundert. Hauptattraktion des Tempels ist der hier befindliche und wohl berühmteste Zen-Garten Japans, der Hojo-Teien. Der Garten besteht aus einer Fläche  aus fein gerechtem Kies mit 15 scheinbar zufällig platzierten Steinen in 5 bemoosten Gruppen. Aus keinem Blickwinkel sind alle 15 Steine sichtbar. Wir sitzen eine ganze Weile da und nehmen das Bild in uns auf. Wenn man etwas empfänglich ist für Meditation, so ist dieses hier bestimmt der richtige Ort für die Übungen.

 

Auf einer kleinen Insel befindet sich ein Shinto-Schrein.  Einen solchen findet man hier in Japan in jedem buddhistischen Tempel, er soll ihn beschützen - sicher ist sicher. Daneben stehen verwitterte Buddhastatuen mit umgebundenen Lätzchen. Diese Buddhas sollen Reisende und tote Kinder schützen. Die Lätzchen wurden ihnen von Müttern umgebunden, die ein Kind verloren haben.Sie beschützen Kinder und Reisende. Anrührend!

 

Mit dem Bus fahren wir zum nächsten Tempel, zum Kinkaku-ji, dem „Goldener Pavillon Tempel“. Die oberen Stockwerke der Reliquienhalle dieses Tempels sind vollständig mit Blattgold überzogen. Dennoch sticht der Pavillon nicht grell hervor, sondern er schmiegt sich elegant in die ihn umgebende Landschaft ein und spiegelt so bereits in seinem Erscheinungsbild das buddhistische Prinzip der Harmonie wider.

 

An solchen Orten wünschen wir uns mehr Zeit, einmal, um in Ruhe in die Umgebung einzutauchen, zum anderen aber auch, um mehr zu erfahren über die Bedeutung der Gebäude, der Anlage und der Symbole. Die japanische Kultur mit ihrer Mischung aus Buddhismus und Shintoismus mit der Geschichte der Shoguns und der Samurai, der Kaiser, der Zen-Meister und vielem anderen ist facettenreich und tiefgründig.

 

Uns bleibt im Moment nur die vordergründige Besichtigung, auch wenn Mieko, unsere Guide vor Ort sich alle Mühe gibt, uns einen kleinen Einblick in die Mystik der japanischen Kultur zu gewähren.

 

Das Tempelgelände ist überfüllt von Touristen, aber auch von vielen japanischen Schulklassen, die, geführt von Lehrerinnen und Lehrern, in ihren Schuluniformen sehr auffallen.

 

Wir kommen ins Gespräch mit einigen Jugendlichen, die uns für eine Aufgabe, die sie zu erledigen haben, interviewen. Sie sind sehr schüchtern, zurückhaltend und höflich, und entsprechen so gar nicht dem Bild, das Jugendliche in diesem Alter in Europa abgeben.

 

Nun geht es ans andere Ende Kyotos, in die Altstadt, nach Gion. In der Innenstadt legen wir einen Zwischenstopp ein, um Sushi zu essen. Wir sitzen an einem Tisch für sechs, der mit seiner Stirnseite an dem Band steht, auf dem in endloser Reihenfolge auf kleinen Tellern die Sushi vorbeifahren. Man nimmt sich, was man möchte, bezahlt wird nach Art und Anzahl der Teller. Auf dem Tisch stehen Beutel mit grünem Tee, und es gibt einen Wasserhahn, aus dem man heißes Wasser bekommt.

 

Mit der U-Bahn fahren wir danach weiter nach Gion, in die Altstadt, in das Geishaviertel. Man sagt, hier sei das traditionelle Kyoto noch spürbar. Aber man muss schon sehr nach dem Ursprünglichen suchen, die Straßen sind bevölkert von Touristen und falschen Geishas in geliehenen Kimonos. Die echten Geishas, oder besser Geikos, wie sie hier in Kyoto heißen, bekommt man nicht mehr zu Gesicht. Es gibt noch ca. 2.000 von ihnen. Nach einer langwierigen Ausbildung in Gesang, Tanz und angemessenem Benehmen vermieten diese Künstlerinnen ihre Talente für Feiern und Veranstaltungen. Sie laufen aber nicht mehr wie früher über die Straßen, sondern benutzen Taxis, um nicht von aufdringlichen Touristen belästigt zu werden.

 

Aber zumindest die alten Holzgebäude sind noch da, manche wirklich alt, andere nach Bränden immer wieder neu aufgebaut. Sie vermitteln ein wenig von der früheren Atmosphäre hier, beherbergen aber auch neue gute Geschäfte und Restaurants.

 

Der Kennin-ji ist einer der ältesten Zen-Tempel Japans. Er liegt, genau wie Gion, im Stadtviertel Higashiyama. Die ganze Anlage besteht aus insgesamt 14 Untertempeln und ist für uns eher nicht überschaubar. Wir können einmal mehr nur das Äußere wahrnehmen und uns mehr Zeit für die Details wünschen.

 

Das quasi shintoistische Pendant ist der Yasaka-Schrein in Gion - auch wenn es natürlich auch im Kennin-ji einen kleinen Schrein gibt.

 

Der Yasaka-Schrein stammt aus dem 7. Jahrhundert und ist einer der größten Schreine Japans. Gion zu seinen Füßen wurde im 15. Jahrhundert ursprünglich gegründet, um die Schreinbesucher zu beherbergen. Erst später entwickelte sich dieser Distrikt zum berühmtesten Geisha-Bezirk in ganz Japan.

 

Nach soviel „Input“ brauchen wir erst einmal Entspannung. Im Hotel gibt es ein japanisches Bad, das wir nun genießen, streng getrennt nach Männern und Frauen. Ich bin allein dort, weil Eva solch heiße Bäder nicht vertragen kann. Es gibt Nischen, in denen man sich vorher reinigen kann, eine Sauna, ein Innen- und ein Außenbecken, das mit Lavasteinen des heiligen Berges Fuji ausgestattet ist.

 

Die Restaurantsuche ist heute nicht einfach, wir werden in mehreren Häusern aus unerklärlichen Gründen abgewiesen, aber schließlich finden wir doch noch einen netten Ort zum Abendessen.

 

 

 

 


 

Dienstag, 04.06.

 

Vor dem Frühstück schauen wir uns den Tempel gegenüber von unserem Hotel an. Der Higashi Hongan-ji ist einer von zwei Zwillingstempeln in Kyoto, er sieht dem weiter westlich gelegenen Nishi Hongan-ji zum Verwechseln ähnlich. Seine Gründerhalle, die 1895 errichtet wurde, rühmt sich, das größte Holzgebäude der Welt zu sein. Sie besticht durch die wertvollen Hölzer und kunstvollen Türen und Gänge. Der Tempel gehört der Sekte otani-ha, er ist noch „aktiv“. Auch um diese frühe Morgenstunde sind bereits Betende hier.

 

Nach dem Frühstück fahren wir (wieder mit Bahn und Bus) nach Nara, das ca. 60 km von Kyoto entfernt liegt.

 

Unser erstes Ziel hier ist der Horyuji Tempel, einer der ältesten in Japan. Er wurde von Prinz Shotoku gegründet, der den Buddhismus in Japan eingeführt haben soll. Die Haupthalle, die fünfstöckige Pagode und das Haupttor im Saiin Garan (westlicher Bezirk) der Tempelanlage stammen aus dem 7. Jahrhundert und sind damit die ältesten noch erhaltenen Holzbauwerke der Welt.

 

Auch hier begleiten uns Massen von Schülerinnen und Schülern, alle in wohlgeordneten Gruppen, manche Lehrerinnen halten kleine Fähnchen hoch. Was wahre Menschenmassen sind, werden wir allerdings etwas später noch erfahren.

 

Zunächst aber essen wir eine traditionelle Nudelsuppe in einem urigen Restaurant, zum Nachtisch habe ich ein Sesameis - ganz excellent!

 

Die Hauptattraktion von Nara ist natürlich der Todai-ji, der Tempel mit der größten bronzenen Buddhastatue der Welt. Sein Eingangstor wird von zwei mehr als acht Meter großen Wächterstatuen bewacht. Der Buddha selbst ist 15 Meter hoch und wiegt 452 Tonnen, er stammt, wie auch der Tempel, aus dem achten Jahrhundert.

 

Die Haupthalle des Tempels ist das (jetzt vielleicht wirklich) größte rein aus gebaute Gebäude der Welt. Rechts neben ihrem Eingang findet man die verwitterte Holzstatue des arhat Pindola-Bharadvaja. Er war ein Arhat, das sind praktizierende Buddhisten, die das Nirwana erreicht haben und darum nicht mehr wiedergeboren werden. Weil er sich aber mit Zauberei beschäftigt hat, darf er nicht mehr in den Tempel hinein, sondern muss davor bleiben. Man sagt ihm heilende Kräfte nach. Wenn man einen seiner Körperteile berührt und danach den entsprechenden bei sich selbst, werden hier Krankheiten geheilt. Da mir gerade aktuell nichts weh tut, berühre ich prophylaktisch sein und mein Knie - bis jetzt hilft es.

 

Nun, ein Tempel ist auch immer ein Treffpunkt für viele und vieles. Es gibt Verkaufsstände mit verschiedensten Artikeln, die Glück verheißen oder zumindest doch mit buddhistischen Weisheiten bedruckt sind. In einer Ecke versuchen sich Besucher darin, sich durch ein Loch in einem Holzblock zu winden. Dieses Loch entspricht der Größe eines der Nasenlöcher des großen Buddhas.

 

Und man kann sich natürlich auch wieder etwas in sein Tempelbuch schreiben lassen.

 

Noch bekannter als der Tempel selbst ist vielleicht der Park, in dem er sich befindet, der Nara-Park. Hier leben mehr als 1.200 mehr oder weniger wilde Sikahirsche. Sie „belästigen“ die Besucher, knabbern an ihrer Kleidung und betteln um Futter. Und wenn man ihnen tatsächlich etwas zum Fressen gibt (kann man hier überall kaufen), reißen sie einen fast um vor Gier. Obwohl sie angesichts der Menschenmassen, die sicher nicht nur heute zum Tempel strömen, hier bestimmt nicht schlecht leben.

 

Im Osten des Parks findet man noch den Shinto-Schrein Kasuga-Taisha. Über 100 steinerne Lampen säumen den Weg dorthin.

 

Zurück in Kyoto fahren wir noch auf den Kyoto-Tower. Von der Aussichtsplattform in 100 Meter Höhe hat man einen schönen Blick über die Stadt. Fast direkt zu unseren Füßen liegt unser Hotel, die Größe der Tempelanlage des Higashi Hongan-ji kann aus dieser Höhe erst richtig erfasst werden.

 

Es ist wiederum nicht einfach, ein Restaurant zu finden, und letzten Endes landen wir im Hotelrestaurant.

 

 


 

Mittwoch, 05.06.

 

Kyoto ist die traditionelle Kaiserstadt in Japan. Da muss man sich natürlich auch den Palast anschauen, auch wenn die offizielle Residenz des Kaisers bereits 1869 nach Tokyo, damals noch Edo, verlegt wurde.

 

Der Kaiserpalast von Kyoto diente der kaiserlichen Familie bis dahin als Wohnsitz. Im kaiserlichen Garten (Kyoto Gyoen-Park) liegen, von einem überdachten Erdwall umgeben, die Palasthalle („Seiryō-den“) und der Kleine Palast („Kogosho“). Man kann die Anlage besichtigen, darf aber die Gebäude nicht betreten. Diese sind nur an fünf Tagen im Frühling und Herbst jeweils für die allgemeine Öffentlichkeit geöffnet.

 

Die Gebäude erzählen von dem Prunk, in dem die kaiserliche Familie gelebt hat, aber auch von ihrer Abgeschiedenheit. Kontakt zur Bevölkerung gab es kaum, und wenn man sich vergnügen wollte, schaute man von der Terrasse aus dem angeordneten Ballspiel der Diener zu.

 

Heute ist der Palast leer. Hier sind nur noch Bedienstete, die die Anlage pflegen und zwar mit immensem Aufwand. Für Staatszeremonien allerdings wird er noch genutzt, und der kaiserliche Thron wird hier aufbewahrt. Zurzeit ist dieser allerdings in Tokyo, weil in diesen Tagen der neue Kaiser gekrönt wird. Wir sehen nur ein Bild des Thrones.

 

Gegen Mittag fahren wir nach Osaka. Die Fahrt mit der Bahn dauert nicht lang, und bald werden wir eintauchen in eine moderne japanische Großstadt und die grelle Präsenz ihrer Altstadt.

 

Vorher essen wir aber noch eine weitere japanische Spezialität, Akashi-Yaki, Teigbällchen, die in einer Art Muffinform gebacken und mit verschiedenen Zutaten serviert werden - einmal mehr sehr gut!

 

Mit der U-Bahn fahren wir in die Altstadt, die mit ihrem bunten, lauten und quirligen Straßenbild uns gemeine Mitteleuropäer fast überfordert. Wir sind dieser Flut von Eindrücken nahezu hilflos ausgeliefert.

 

Osaka wird auch als die Küche Japans bezeichnet, und die Restaurants preisen mit großen, plastischen Figuren, die weit ins Straßenbild hineinragen, ihre Angebote an.

 

Große Figuren, die auf Balkonen oder Dachvorsprüngen sitzen, künden vom zweiten Schwerpunkt Osakas, der Unterhaltungs- und Theaterkunst.

 

Mieko hatte uns gewarnt, dass es hier nichts Ursprüngliches gibt, und dass Einheimische hier eher in der Minderzahl sind. Das mag sein, es sind insbesondere viele chinesische und koreanische Touristen hier, aber schließlich sind wir ja auch Touristen, und sehenswert ist dieser Trubel allemal.

 

Zum Abschluss unseres Besuchs in Osaka fahren wir auf das Umeda Sky Building. Hier gibt es eine „schwebende Brücke“, die im 39. Stockwerk die beiden Haupttürme des Gebäudes miteinander verbindet. Man hat eine fantastische Aussicht, aber auch das futuristische Gebäude selbst ist sehenswert mit den in Röhren verlaufenden Rolltreppen, dem verspiegelten schneckenartigen Rondell und dem Restaurantbereich, in dem die Decke aus Spiegeln besteht.

 

Zurück in Kyoto haben wir wiederum Probleme mit der Restaurantsuche - irgendwie ist hier der Wurm drin. Aber natürlich finden wir auch heute wieder eines. Das Essen ist mittelmäßig, und Ulrichs Chewing Chicken entpuppen sich als harte und eher zähe Innereien vom Huhn - man hätte bei dem Namen schon mißtrauisch werden müssen! Aber wie überall gibt es mehrere Betrachtungswinkel, und insbesondere über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten. Norbert übernimmt die Portion, und ihm schmeckt es.

 

Am Tisch gibt es übrigens ein Art Klingel, mit der man die Kellnerin rufen kann. Das haben wir hier auch schon in anderen Restaurants gesehen, es ist durchaus praktisch - und es funktioniert auch.

 

Heute ist unser letzter Abend in Kyoto, morgen fahren wir weiter nach Tokyo. Wir haben uns bereits von Mieko verabschiedet, sie wird uns morgen nicht zum Bahnhof begleiten.

 


 

 

Donnerstag, 06.06.

 

Als mittlerweile schon erfahrene Japanreisende sind wir mehr und mehr auf uns allein gestellt. Nachdem wir es bisher jeden Abend mit Bravour geschafft haben, ein nettes Restaurant zu finden, wartet heute die nächste Herausforderung auf uns: Wir müssen allein zum Bahnhof und dort den richtigen Zug und die reservierten Plätze finden. Aber auch das gelingt ohne Probleme. Wir sind zwar (aus Sicherheit) viel zu früh am Bahnhof, aber was soll‘s! Wir finden in aller Ruhe Bahnsteig, Zug und unsere Plätze. Es ist gar nicht so schwer, sich in Japan zurecht zu finden – zumindest in den großen Städten.

 

Am Bahnhof in Tokyo werden wir allerdings von unserem örtlichen Guide, Toshi, abgeholt, und mit dem Bus fahren wir zum Hotel. Das ist sehr angenehm, können wir doch so einen ersten Eindruck von der Stadt machen, die 2019 mit knapp 37,5 Millionen Einwohnern die größte der Welt ist.

 

Das Tokyo Rei-Hotel ist ein typisches Mittelklassehotel, besonders groß sind die Zimmer nicht, aber für ein paar Tage reicht es völlig.

 

Am Nachmittag haben wir wieder „Freizeit“. Und nachdem wir uns eingerichtet haben, fahren wir (wieder mit dem Bus) zum Kaiserpalast. Er liegt mitten in der Stadt, umgeben von einem weiträumigen Gelände. Die Palastgebäude kann man nur von Weitem bewundern. Nah heran kommt man nicht.

 

Die Temperaturen steigen unerbittlich, und auch der Palastgarten, den man betreten darf, bringt keine Abkühlung. Der Ausflug ist anstrengend!

 

In einem Restaurant m Tokyo Midtown Hibiya Einkaufszentrum ruhen wir uns etwas aus. Wir können draußen sitzen, das ist ungewöhnlich mitten in der Stadt, aber sehr angenehm. Nachdem wir uns gestärkt haben, lassen wir uns in der Innenstadt treiben, bewundern die Geschäfte, schauen kurz in eine Sony-Ausstellung und bestaunen die neuesten Automodelle von Nissan.

 

In Ginza, dem Shoppingviertel überhaupt, ist die Dichte der teuren Markengeschäfte  sicherlich einmalig, da kommen auch New York und Paris nicht mit. Wir können nur immer wieder staunen.

 

Die Straßen sind voller Menschen, aber die Enge und Hektik wirken nicht bedrohlich oder aggressiv. Die vielen Menschen hier sind der Normalzustand, und die Leute sind freundlich und relaxed.

 

Den Abend beschließen wir im Rose & Crown, einem klssischen viktorianischen Pub. Das mag zwar nicht stilecht erscheinen, aber dieses Lokal wird in erster Linie von Einheimischen frequentiert, die offensichtlich nach der Arbeit hier noch einen Imbiss bzw. einen Drink nehmen.

 

Zu unserem Hotel sind es von hier aus nur noch ca. 15 Minuten zu laufen.

 

 

 


 

 

 

Freitag, 07.06.

 

Toshi holt uns nach dem Frühstück im Hotel ab.

 

Vorher hieß es Schlange stehen, um einen Tisch zum Frühstück zu bekommen. Das Buffett war umfangreich, wenn auch das Meiste eher dem japanischen Geschmack entsprach, es gab Fisch und salzig eingelegtes Obst und Gemüse und Algen und mit Eiswürfeln gekühlte Spaghetti - naja wir sind ja experimentierfreudig, und vieles hat auch richtig gut geschmeckt.

 

Mit Toshi gehen wir zur nächsten U-Bahn-Station (Name) (wir haben Dauerfahrkarten) und fahren zum Meiji-jingu, einem zentralen Shinto-Schrein im Stadtviertel Shibuya. Er ist den Seelen des Meiji-tenno und seiner Frau Shoken-Kotaigo gewidmet. Der Meiji-tenno, der 122. Tenno von Japan, starb 1912. Er und seine Frau waren sehr beliebt, der Schrein zu ihrem Gedenken - heute einer der bekanntesten Shinto-Schreine - wurde zu großen Teilen von Freiwilligen erbaut.

 

Der Meiji-jingu liegt in einem großen Park. Hier sind ca. 120.000 Bäume gepflanzt, die von Menschen aus allen Teilen Japans gespendet wurden. Der Park mitten in Tokyo wird von vielen Menschen als Naherholungsgebiet genutzt, der Schrein selbst ist auch beliebt als Zeremonienort z.B. für Shinto-Hochzeiten.

 

Auf dem Weg durch die Anlage beginnt es zu regnen, und es wird heute auch nicht mehr aufhören. Es passt natürlich ganz genau, denn heute ist der offizielle Beginn der Regenzeit in Japan - bingo! Wir sind nur froh, dass wir uns in weiser Voraussicht im Hotel Schirme geliehen haben.

 

Durch die Omotesando, eine prachtvolle Straße, die als Zugang zum Schrein gebaut wurde, gehen wir langsam zur nächsten U-Bahn-Station. Heute haben sich hier Luxusläden angesiedelt, die nicht nur durch ihr Angebot, sondern oft auch durch eine sehr interessante Archtektur bestechen.

 

Wir fahren bis zur Shibuya-Station. Hier steht die Bronzestatue eines Hundes. Hachiko war ein japanischer Akita-Hund, der jeden Tag hier sein Herrchen, Professor Ueno, von der U-Bahn abgeholt hat. Auch als der Professor verstorben war, kam der Hund weiterhin tagtäglich zur gleichen Zeit an die selbe Stelle, um auf seinen Herrn zu warten, fast 10 Jahre lang bis er selber verstarb. Die Geschichte des Hundes ist in ganz Japan bekannt. Als Symbol für die Treue wurde dann diese Statue errichtet. Es lohnt sich, die ganze Geschichte auf Wikipedia nachzulesen (Stichwort: Hachiko), 2009 wurde sie sogar verfilmt, “Hachiko - eine wunderbare Freundschaft“ mit Richard Gere in der Hauptrolle.

 

Wir sind hier übrigens an einer der berühmtesten Straßenkreuzungen der Welt, einer sogenannten Diagonalquere zwischen dem Bahnhof und der Einkaufsstraße Center-gai.

 

Von den oberen Etagen eines Starbucks aus hat man einen guten Blick auf die belebte Kreuzung, auf die sich in Minutenabständen (immer wenn die Ampel grün zeigt) Menschenmassen ergießen.

 

In einem Restaurant in einem Einkaufszentrum essen wir eine Kleinigkeit, bevor wir zum Sensoji-Tempel fahren. Er liegt im Stadtteil Asakus, und er ist Tokyos ältester und bedeutendster Tempel und der buddhistischen Gnadengottheit Kannon gewidmet.

 

Der Weg zum Tempel führt über die Nakamise-dori, einer belebten Straße mit kleinen Verkaufsständen, die Souvenirs feilbieten wie Fächer, Holzblockdrucke, Kimonos, aber auch Spielzeug, T-Shirts und Mobiltelefontaschen. Diese Geschäfte sind Teil der Tradition des Sensō-ji. Der Eingang zur Nakamise-dori wird vom  Kaminari-mon, dem Donnertor bestimmt. An dieser imposanten Struktur befindet sich eine riesige Papierlaterne, welche in lebhaften Rot- und Blautönen bemalt ist, die Assoziationen mit Gewitterwolken und Blitzen heraufbeschwören.

 

Schade, dass es wirklich unaufhörlich regent, so fehlt doch die richtige Muße, alles genau anzuschauen. Allerdings hält dieser Regen offensichtlich niemanden vom Tempelbesuch ab. Menschenmassen bewegen sich auf dem Weg dorthin. Es ist nicht zu unterscheiden, wer Tourist ist und wer zum Beten hergekommen ist. Es sind auch Paare in Hochzeitskleidung hier oder andere, die sich mit ihrem Baby am Tempel fotografieren lassen.

Den eigentlichen Tempelbezirk erreicht man durch das große "Hōzō-mon" genannte Tor, hier kann man wie üblich seinen Mund mit Wasser ausspülen und sich mit Rauch reinigen, bevor man die Haupthalle des Tempels erreicht.

 

Einmal mehr sind wir davon beeindruckt, wie die Tempel ganz selbstverständlicher Teil des öffentlichen Lebens sind, eine Mischung von Park, Markt, Treffpunkt und natürlich auch Ort zum Meditieren und Beten.

 

Den Abschluss der heutigen Besichtigungstour bildet ein Bummel durch Akihabara, dem Zentrum der Manga- und Anime-Kultur. Auf den Straßen werben entsprechend verkleidete Jugendliche für die Geschäfte, und in den Läden findet man alles, was mit Manga & Anime zu tun hat, eine Welt, die sich uns nicht in all ihren Dimensionen erschließt.

 

Mit der U-Bahn fahren wir zurück ins Hotel.

 

Zum Abendessen sind wir in einem koreanischen Restaurant in der Nähe unseres Hotels. Es ist ganz gemütlich. Besonders auffallend ist die „Old-School-Toilette“ ohne Heizung, Musikberieselung, Dusche etc., dafür aber mit einem Spitzendeckchen auf dem Spülkasten.

 

Auf dem Heimweg regnet es immer noch.

 

 

 


 

 

 

Samstag, 08.06.

 

Heute ist unser “freier“ Tag, ein Tag ganz ohne Guide. Wir lösen auch unsere Vierergruppe auf und gehen getrennte Wege. Eva und Norbert wollen zum Skytree, dem höchsten Gebäude Tokyos (weltweit das zweithöchste). Ulrich und ich gehen zum Tokyotower, dem alten Wahrzeichen Tokyos, das dem Eiffelturm in Paris nachempfunden ist, dessen Dimensionen aber noch überschreitet.

 

Ganz in der Nähe unseres Hotels befindet sich der Atago Jinja Schrein, der Schrein mit den Glücksstufen. In der Edo-Zeit war hier ein Samurai die Stufen rauf und runter geritten und hatte danach nur noch Glück im Leben. Klar, dass es seitdem Glück bringt, über diese Stufen zu laufen.

 

Wir verzichten und laufen statt dessen weiter zum Tokyotower. Schon von weitem kann man ihn immer mal wieder sehen, und je näher man kommt, umso eindrucksvoller wird er. An seinem Fuß beginnt offensichtlich gerade ein Mangatreffen, ein Festival oder so eteas ähnliches. Wir finden nicht heraus, was es ist, aber es sammeln sich immer mehr junge Menschen in Manga- und Fantasykostümen.

 

Nicht weit entfernt ist der Zōjō-ji Tempel, der bekannt ist durch seine Shogun-Tokugawa Grabanlagen und seine schönen Bauten. Der Tempel liegt in einer weitläufigen Anlage, und neben vielen buddhistischen Gebäuden gehört natürlich auch wieder ein Shinto-Schrein dazu.

 

Besonders anrührend sind die hunderte, eher sogar tausende von Jizō Statuen, die Wächter der Kinder mit ihren roten Mützen, Lätzchen und Windmühlen. Sie stehen für das sichere Aufwachsen von Kindern, aber auch für verstorbene oder totgeborene Kinder. Die Mützen und Lätzchen sollen die Kleinen beschützen und warm halten.

 

Dann aber geht zurück in die moderne Welt. Mit der U-Bahn fahren wir nach Ginza, und dort stürzen wir uns in die glitzernde Shoppingwelt. Die Hauptstraße ist an diesem Samstag zur Fußgängerzone umgewandelt, die Menschen flanieren hier, Tische und stühle stehen mitten auf der Straße, und Straßenkünstler zeigen ihr Können.

 

Besonders im Ginza Six erleben wir eine Konzentration von Luxusläden, wie wir sie sonst noch nirgendwo auf der Welt gesehen haben. Diese Fülle von Luxuswaren ist unbeschreiblich. Allein die Bücherabteilung ist so groß wie bei uns ganze Kaufhäuser. Aus kostbarsten Seidenstoffen kann man sich exclusive Kimonos schneidern lassen, und es werden Cognacs für ….  € angeboten. Auf dem Dach gibt es einen weitläufigen Garten, in dem auch der Shintoschrein wieder nicht fehlen darf.

 

Natürlich ist aber nicht nur schauen angesagt, sondern auch shoppen. In den etwas besseren Geschäften wird man durchgehend von einer Verkäuferin oder einem Verkäufer “betreut“. Nach dem Kauf begleitet er den Kunden zur Kasse, er verpackt den Einkauf sorgfältig und begleitet den Kunden zur Tür, wo man die Einkaufstüte mit einer kleinen Verbeugung überreicht bekommt. Ich gönne mir dieses Erlebnis in einem Lederwarengeschäft.

 

Unseren Lunch haben wir hier in Ginza Six in einem französischen Restaurant.

 

Zum Abendessen sind wir dann wieder zu viert. Es ist unser letzter Abend in Tokyo. Morgen fliegen wir heim. Es gestaltet sich etwas schwierig, ein passendes Lokal zu finden, aber letzten Endes ist es uns doch gelungen. Es ist zwar ein Raucherlokal, wie wir feststellen, aber die Lüftung scheint ganz gut zu funktionieren.

 

 


 

Sonntag, 09.06.

 

Heute steht nur noch die Heimreise auf dem Programm. Mit einem Taxi fahren wir zum Flughafen Narita, und gegen 12.30 Uhr starten wir Richtung Moskau. Der Flug wird etwa 9,5 Stunden dauern.

 

Wir fliegen gegen die Zeit, und sind daher schon um kurz nach 15.00 Uhr Ortszeit dort. Um 19.35 Uhr geht es dann weiter auf die letzte Etappe nach Berlin.

 

Es ist immer noch Sonntag, als wir nach ca. 18 Stunden Reisezeit wieder in Berlin ankommen.

 

So richtig realisieren können wir es noch nicht, aber der alte Traum ist tatsächlich wahr geworden. Wir sind mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Wladiwostok gefahren und von dort aus mit der Fähre weiter nach Japan.

Manchmal ist ja besser, wenn langgehegte Träume sich nicht erfüllen, weil das oftmals mit Enttäuschung einhergeht. Aber in diesem Fall war es genau richtig, sich diesen Traum zu erfüllen. Es war ein einmaliges Erlebnis mit unendlich vielen Eindrücken, und wir haben das Gefühl, viel länger als nur drei Wochen unterwegs gewesen zu sein.

Wir haben jede Minute dieser Reise genossen!

 

 

https://www.welt.de/print-welt/article256265/Japans-Seele-kichert-gern.html